Kitsch ist anders!
Man fragt sich zuweilen, wie Autoren und Musiker mitten in der heißen Jahreszeit darauf kommen, an Weihnachten zu denken. Selbst Antonio Vivaldi musste beim Erschaffen seiner "Vier Jahreszeiten" wohl mental die Zeitgrenzen überschritten haben, um sich jeweils in das zu komponierende Sujet einzuarbeiten.
Vor rund 20 Jahren kam der Düsseldorfer Gitarrist Thomas Battenstein mit dem CD-Weihnachtsalbum "Stille Nacht" heraus, auf dem er zwar arrangierte und größtenteils bekannte Standards dieser Lieder in einem neuen Gewand vorstellte, sie aber eher durch Instrumentierung und Form behutsam "modernisierte". Ja, man konnte sogar mitsummen und nebenbei Bratäpfel brutzeln lassen. Reine Weihnachtstradition mit musikalischem Zierrat.
Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen. Die Weihnachts-Platte, der auch noch eine analoge Notenausgabe folgte, war gegenüber den üblichen Erfolgsquoten bei Gitarrenplatten ein großer Renner. Der Düsseldorfer Gitarrist mit seiner großen stilistischen Bandbreite, seinem instrumentalen Geschick und seiner ästhetischen und flexiblen Musikalität pflegte zwar "sein Kind", konzentrierte sich aber fortan auf neue und thematisch völlig andere Gitarrenmusik, die seine grundsätzlichen Neigungen zum Jazz, zur Latin-Musik, zur Improvisation und zum ausgefeilten Arrangement zum Inhalt hatten. Weit mehr als ein Dutzend CD-Produktionen unter eigenem Namen folgten mit Titeln wie etwa "Rain in Spain", "Laid Back" oder "Wintertime", die er zum Teil in Kooperation mit anderen Musikern einspielte.
Seine 17. und neueste Produktion ist die "sommerliche" (s.o.) Weihnachtsplatte "my christmas grooves", die keineswegs im Kielwasser des Erfolgs die frühere Produktion imitiert. Battenstein stellt 22 Lieder aus dem Weihnachtsrepertoire in seiner Machart vor. Was das heißt, lässt sich allenfalls skizzieren, nicht befriedigend beschreiben.
Vergleichend kann man zunächst feststellen, dass es sich bis auf einige Ausnahmen um internationales Repertoire handelt und sich das Programm schon deshalb von einer eventuell einheimelnden Weihnachtssentimentalität absetzt. Nicht jedem werden alle Titel geläufig sein, und einige würde man nicht sofort mit der "stillen Jahreszeit" in Verbindung bringen. Aber was wissen wir schon von den Weihnachtsgepflogenheiten anderswo. "Go Tell It On The Mountain" wurde eigentlich zu jeder Zeit gesungen, geskiffelt und gejazzt. Und so ist es nur einleuchtend, das Battenstein gerade dieses Metier zwischen den Stilen angeregt hat. Eine Prise Jazz, tupferweise Impro, lässige Latin-Rhythmen, dennoch verspielte, zarte und melodieverliebte Linien. Das katalanische Lied "El Noy De La Mare", das Miguel Llobet so zauberhaft für klassische Gitarre arrangiert hat, klingt auch in Battensteins Version verträumt und leicht sentimental.
So könnte man durchaus jedes der knapp zwei Dutzend Songs beschreiben, weil jede Nummer für sich eine kleine Gemme mit Besonderheiten ist. Selbstverständlich ist alles instrumental, oftmals gespielt auf der Ibanez "Joe Pass" mit warmer Gitarrenbegleitung auf Nylon und einem überaus weichem Bass. Kitsch ist anders! Als gewiefter Instrumentalist hat der Düsseldorfer sogar zwei Eigenkompositionen beigesteuert: "Don’t Feel So Blue On Christmas" und "Love And Candlelight".
Wenn man darüber hinaus die Titelliste durchgeht, wird man auf Namenstoßen, die eine Idee vermitteln, was hier als kompaktes Programm vorliegt: Jose Feliciano, Irving Berlin, John Lennon stehen neben einigen Standards, die wir alle kennen. Aber nicht immer so, wie sie hier gespielt werden. Das Arrangement weicht manchmal keck von Dur nach Moll aus, eine unbekannte und im Original nicht vorgesehene Eskapade. Es klingt und bringt Abwechslung in die durchaus begrenzte Besetzung, die einen75-Minuten-Tonträger immer neue Impulse geben soll. Ob es nun mit "Jingle Bells" oder dem "Stern von Bethlehem" gelingt, die musikalische Spannung für den Hörer neu aufzubauen, ist schließlich einerlei, wenn es gelingt!
Peter Maier, Gitarre aktuell III/2014 |